Donnerstag, November 7, 2024
Barfuss-zum-Mond

Myanmar (Burma)

17Die etwa 50 Jahre alte Frau sieht hochgebildet aus und hat einen strengen, durchdringenden Blick. In passablem Englisch fragt sie mich, was ich denn in Myitkyina wolle. Wahrheitsgemäß antworte ich, auf dem Irrawaddy in 4 Tagen zurück nach Mandalay reisen. Sie mustert meinen kleinen Rucksack, als ob sie ihn mit ihren Augen durchleuchten könne. Ob ich beruflich unterwegs bin, möchte sie jetzt wissen. Ich verneine dies und stelle klar: „Ich bin nur ein Reisender“. Noch immer fürchten sie in Myanmar ausländische Journalisten. „Jedenfalls sitzen sie im falschen Zug“ sagt sie dann freundlich, aber kalt. Ich zucke mit den Achseln antworte ihr, dass ich davon ausgegangen bin, dass dieses der von mir gebuchte Zug sei. Schließlich sei er bei Abfahrt schon drei Stunden hinter dem Fahrplan zurück gewesen. Sie lächelt kurz und teilt mir mit, dass mein Zug erst in etwa einer Stunde in Mandalay losfahren würde. Ob ich nun aussteigen müsse, will ich jetzt wissen. Sie lächelt wieder und verneint meine Frage. Man müsse halt etwas enger zusammenrücken.

Wenige Minuten zuvor war ein riesiger Tumult entstanden. Viele Menschen redeten auf mich ein, leider verstand ich die freundlichen Worte und Gesten nicht. Vielleicht war es auch nur Neugierde gewesen, denn einen Ausländer im Zug von Mandalay nach Myitkyina trifft man nur selten an. Jemand beanspruchte meinen Platz aber auf meinem Ticket steht dieselbe Platznummer. Die ist so ziemlich das Einzige, was ich auf dem Ticket lesen kann, deshalb bin ich wohl auch im falschen Zug gelandet. Jedenfalls hatte es nicht lange gedauert und die mysteriöse Frau war da. Nach ihrem beruflichen Hintergrund zu fragen, traue ich mich nicht aber in meiner Phantasie male ich mir die wildesten Theorien darüber aus.

Eine Familie, so vermute ich, es sind zwei erwachsene Frauen und zwei Mädchen, bietet mir einen Platz in ihrem offenen Viererabteil an. Ich gestikuliere, wie das denn funktionieren soll, es wäre unmöglich, zu Dritt auf einer der engen, hölzernen Sitzbänke Platz zu finden. Daraufhin steht eines der beiden Mädchen auf und setzt sich auf den Boden zwischen den gegenüberliegenden Sitzbänken. Sie ist etwa 10 oder 11 Jahre alt, aufgeweckt und interessiert an allem, was der fremde Mann so tut. Was ich lese, wie ich mich bewege, meine Mimik und Gestik, sie studiert mich und registriert alles. Das andere Mädchen, vermutlich Schwester oder Cousine der Kleinen, ist etwa 17 Jahre alt und wesentlich zurückhaltener. Aber auch sie beobachtet mich dann und wann heimlich aus den Augenwinkeln.

22Die Familie hat mir nicht nur den Sitzplatz überlassen, sie füttert mich auch mit allerlei Köstlichkeiten der lokalen Küche. Zumeist sind es Backwaren und Trockenfrüchte, die es an jedem Bahnhof Südostasiens zu kaufen gibt. Auch ihr Wasser teilen sie mit mir. Berührt und fast schon verlegen von so viel Gastfreundschaft bedanke ich mich bei ihnen mit einem Lächeln. Als sie etwa zwei Stunden vor Myitkyina in einem kleinen Dorf den Zug verlassen, lassen sie die restlichen Backwaren sowie einige Packungen getrockneter Früchte für mich zurück.

Es ist bereits Abend, als der Zug in den Bahnhof von Myitkyina einfährt. Nach vierundzwanzig Stunden auf einer harten Holzbank fühle ich mein Gesäß nicht mehr, es ist so, als wären alle Nervenenden abgestorben. Schmerz empfinde ich erst beim aufstehen.

Im bahnhofsnahen Hotel ist nur noch ein Familienzimmer verfügbar, aber ich bin zu müde, um weiter zu suchen. Es scheint das einzige Low-Budget-Hotel am Ort zu sein, denn ich treffe auf der Essterasse auch meine Mitreisenden für die nächsten 4 Tage. Ein junges Schweizer Pärchen.

BildMeine Bemühungen, den überteuerten Preis für die Bootsfahrt nach Bhamo ein wenig zu drücken, scheitern. Rigoros schüttelt der Ticketverkäufer den Kopf und will sogar schon aufstehen und weggehen, als ich mich bockig zwei Schritte entferne. Das Schicksal des „reichen Fremden“ in einem der ärmsten Länder Südostasiens, sie sehen dein Gesicht und der Preis verdreifacht sich. Nun habe ich nicht vor, auf das kommende Abenteuer zu verzichten und bezahle am Ende widerwillig den geforderten Preis.

Das Unterdeck des kleinen Holzbootes mit Außenborder bietet mir nicht die Aussicht und Bewegungsfreiheit, die ich benötige. Aus diesem Grund begebe ich mich auf das Dach der Kabine, allerdings erst, nachdem ich dem Skipper das Versprechen abgenommen habe, dort oben keine Zielscheibe für Guerillakämpfer zu sein.

Die zehn Stunden bis nach Bhamo vergehen wie im Flug, ich bewundere die Ursprünglichkeit der Umgebung, die Einfachheit des Lebens. Die Uhren ticken langsam und es gibt nichts Schöneres, als sich bewusst darauf einzulassen. War die Landschaft zunächst noch überwiegend flach und von Ackerbau geprägt, so verändert sie nach unserem Mittagsstopp in der kleinen Siedlung Sinbo ihr Gesicht.

Es wird hügeliger, die Vegetation üppiger, Karstfelsen ragen steil in den Himmel und immer wieder passieren wir Siedlungen mit Stelzenhäusern. Der Fluss macht hier einige Biegungen, geschickt manövriert der Kapitän das Schiff durch die Stromschnellen und die engste Stelle des Irrawaddy.

In der Stadt Bhamu, welche wir erst nach dem Sonnenuntergang erreichen, treffen wir auf freundliche und zuversichtliche Menschen, deren Lebensfreude selbst der in der Kachin- und Shan-Provinz immer noch schwelende Bürgerkrieg nicht zu rauben vermag. Betrachtet man allerdings die Lebensumstände der Bewohner, so wird einem klar, dass es mehr als nur einer positiven Lebenseinstellung bedarf, um die tägliche Ungerechtigkeit und die Ungleichbehandlung hinzunehmen.

Schon auf dem Fluss hatten wir sie gesehen, die kleinen und großen Förderbänder der Goldsucher, die als Tagelöhner das so begehrte Edelmetall mittels hochgiftigem Quecksilber aus dem Sand lösen und somit der Natur und sich selbst irreparable Schäden zufügen. Für gerade mal 1 bis 2 US-Dollar täglich.

Die Lebenserwartung der burmesischen Arbeitssklaven sinkt rapide, während sich die chinesischen Eigentümer die Taschen füllen.

Für nur 7 USD pro Nacht checken wir für zwei Nächte im Friendship Hotel ein. Die Zimmer sind sauber und klimatisiert, das Foyer repräsentativ und gediegen.

Mit Johanna und Robin, dem Schweizer Paar, mache ich mich am Morgen auf, die Stadt zu erkunden. So ziemlich alle Handelshäuser, Restaurants und Hotels sind in chinesischer Hand. Burmesisch ist nur die arbeitsintensive und wenig lukrative Landwirtsschaft, primär der Reisanbau. Wie auch in Myitkyina sind auch hier einige ethnische Gruppen zu Hause, die, so scheint es zumindest, in Harmonie miteinander leben.

13Während der Wanderung hinaus aus der Stadt passieren wir mehrere Militärposten, die uns freundlich den Weg weisen und hinsichtlich möglicher Rebellenangriffe beruhigend auf uns einwirken. „No problem“ ist die Phrase, die wir an diesem Tag sehr häufig hören. Entlang des Tamphin-Flusses, durch die sattgrünen Reisfelder und vorbei an prunklosen aber dennoch schönen Tempelanlagen gelangten wir in ein Wohngebiet, in welchem die Menschen in einfachen Hütten leben, die zumeist mittig auf den umzäunten Grundstücken errichtet wurden. Alles wirkt sauber und gepflegt, beinahe wie zu Hause und doch ganz anders.

12Als man uns entdeckt, gibt es ein großes „Hallo“. Man bietet uns Sitzplätze an, fächert uns kühle Luft zu und möchte auch mit uns reden. Mit Händen und Füßen und ein paar Brocken Englisch erklären uns die Bewohner, wie und wovon sie leben. Wenn wir irgendwo aufstehen, kommt bereits der nächste und lädt uns ein. Die Sonne steht schon sehr tief, als wir – zurück in der Stadt – den bunten Markt direkt am Hafen erreichen. Wir schlendern hin und her, probieren die ein oder andere Frucht und genießen das Flair. Am Ende des Tages haben wir viel gesehen und neue Freunde gewonnen. Bhamo ist weitaus mehr, als nur ein notwendiger Zwischenstopp. Im Nachhinein bin ich froh, dass wir einen ganzen Tag in diesem netten Städtchen hatten.

Der Geruch von Blut, Urin, Schweiß und Alkohol ist allgegenwärtig. Zum Glück sind wir nicht zu empfindlich, aber der Anblick, der sich uns bietet, ist schwer zu ertragen. Man hat uns jeweils einen ca. 1 qm großen Schlafplatz in der Sektion des Unterdecks zugeteilt, in welchem die notdürftig versorgten Verwundeten liegen, die am selben Morgen auf das Passagierschiff gebracht wurden.

20Einen Tag und zwei Nächte lang hatten wir uns in Bhamo und in der unmittelbaren Umgebung der Stadt sicher gefühlt und jetzt das!  Waren die Kämpfe doch näher gewesen als wir angenommen hatten? Immer mehr Verwundete werden hereingebracht, mehrheitlich mit leichten Verletzungen, zwei Schwerverwundete liegen allerdings nur wenige Meter entfernt. Uns ist klar, wir werden hier nicht bleiben, und die Menschen leiden oder vielleicht sogar sterben zu sehen. Wir schnappen unsere Siebensachen und suchen uns einen Platz am Oberdeck.

Unser kleines Lager mit einem Sarong als Sonnen- und Sichtschutz bietet nicht sehr viel Privatsphäre, aber hier ist es nicht ganz so eng wie auf dem Unterdeck und die frische Brise ist ein Segen im Vergleich zu den Gerüchen nur eine Etage tiefer.

Es ist schwer zu sagen, wie viele Menschen auf dem Schiff sind, ich schätze mal so 300. Neben uns drei Ausländern und der reisenden Zivilbevölkerung ist eine große Anzahl Soldaten an Bord, welche die Verwundeten bis nach Mandalay begleiten sollen, wo diese, so hoffen wir, die medizinische Versorgung erhalten, die sie dringend benötigen.

Die Fürsorge der Soldaten für ihre verwundeten Kameraden hält sich allerdings in Grenzen, denn die Mehrheit der uniformierten Pflegekräfte ist schon am Morgen dem hochprozentigen Alkohol zugetan. So kommt es auch immer wieder zu Begegnungen, bei welchen uns von den durch Alkohol enthemmten Soldaten aufdringlich Schnaps und Zigaretten angeboten werden. Wir lehnen dankend ab und ziehen uns ein wenig zurück, sofern das überhaupt möglich ist.

21Dann und wann hält das Schiff an kleineren Häfen. Diese Stopps dienen vor allem der Nahrungsaufnahme, die Speisen werden auf großen Tabletts und in Töpfen angeboten, die Frauen in landestypischer Kleidung auf dem Kopf balancieren. Neben der Bekämpfung des Hungers hat das Geschehen auch eine bunte, folkloristische Note, die mir als eine der schöneren Erinnerungen an diese Schifffahrt im Gedächtnis bleiben wird.

Viel Schlaf werden wir hier nicht bekommen, die erste Nacht ist kühl bis kalt, das Deck hart, die Soldaten laut und betrunken. Wenn sie nicht schlafen, trinken sie. Dafür ist der Sonnenaufgang auf dem Irrawaddy Entschädigung für den entgangenen Schlaf, ich zelebriere ihn mit einer Zigarette, die ich, ungesehen von den Soldaten, an der Reling rauche.

Nach einem weiteren sonnigen Tag auf Deck und einer sehr kurzen Nacht laufen wir um 1.00 Uhr morgens in den Hafen von Mandalay ein.

Müde, aber zufrieden gehe ich mit meinen Begleitern von Bord. In den vergangenen 4 Tagen habe ich mehr über das Land Myanmar und die Menschen gelernt als ich mir zuvor erträumt habe. Ich habe mit ihnen gelebt, gesprochen, gegessen, gelacht und mit ihnen gefühlt. Eben erfahre ich, dass von den Verletzten an Bord alle die Fahrt nach Mandalay überlebt haben.

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