Mittwoch, Dezember 4, 2024
Barfuss-zum-Mond

Brasilien – Das Pantanal: Auf den Spuren Grishams!

 

 

Und wieder sind wir bei den Iguazu-Fällen. Vor etwa drei Wochen waren wir bereits schon einmal hier, allerdings auf der argentinischen Seite. Die Aussichten dort waren schön – die in Brasilien sind unglaublich. Keine Spur von der Hektik drüben während der Karwoche, hier geht’s ruhig und entspannt. Vielleicht 30 Leute auf der Plattform am Fuße des Teufelsschlund. Wolkenloser Himmel, Wassermassen stürzen von drei Seiten in ein großes Becken, Sonnenstrahlen und aufspritzendes Wasser bilden einen 360°-Regenbogen. Hier muss der Garten Eden sein. Um uns herum – dichter Wald. Schmetterlinge lassen sich auf unseren Händen nieder und begleiten uns ein Stück. Wir setzen uns auf den Boden und lassen den Moment auf uns wirken……………, wow!!!

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Corumba, Brasilien 13.5.04

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                           Corumba – Streetview

Wie bereits in früheren Berichten erwähnt, lang sind die Distanzen in Südamerika, die Busse unterkühlt, man fühlt sich wie ein Tiefkühlschnitzel. Nach 15-stündiger Busfahrt erreichten wir Campo Grande, das Tor zum Pantanal, morgens um sechs. Kaum ausgestiegen, fielen sie wie eine Horde Hyänen sie über uns her, die dynamischen Tourenverkäufer. Leider konnten wir ihnen in Sachen Dynamik nicht das Wasser reichen, zu übernächtigt und steif fühlten wir uns. Flucht schien für uns die beste Lösung. Doch sie nahmen die Verfolgung auf, ließen sich nicht abschütteln. Eine Herberge war das, was wir uns wünschten. Der älteste und vernünftigste der Verkäufer zeigte uns den Weg und gewann uns als Kunden. Wir verabredeten uns mit ihm um zehn. Es ist wohl immer so, der am ruhigste Vertreter macht das Rennen bei uns.

Nach einem guten Frühstück mit Kaffee sah die Welt schon wieder anders aus. Wir waren heiß auf das Pantanal. John Grishams Buch „Das Testament“ hatte nicht unerheblich dazu beigetragen. Das Pantanal ist ein Feuchtgebiet, ungefähr halb so groß wie die Bundesrepublik Deutschland. In der Regenzeit von Juli bis Oktober ist es auf dem Landwege nur schwer zugänglich, weil alles überschwemmt ist. Die vielfältige Tierwelt sowie die einmalige Landschaft sind die Dinge, die einige Tausend Reisende jährlich dorthin zieht. Die Touren sind nicht gerade günstig, werden aber billiger, je länger man bleibt. Auf eigene Faust ist es nahezu unmöglich, das Pantanal zu bereisen, wenn man kein Allradfahrzeug besitzt oder niemanden in der Region kennt. Also pfiffen wir auf alle Individualität und schlossen uns einer Tour an, die uns noch am selben Tage auf die Naturaleza Farm bringen sollte.

Noch mal zweieinhalb Stunden mit dem Linienbus und wir fanden uns an einer Weggabelung wieder, wo wir auf den Tourtransporter warten sollten. Eine Polizeistation befand sich an dieser Stelle und wir fühlten uns trotz der unendlichen Weite und Einsamkeit einer spärlich besiedelten Landschaft sicher.

Das Knattern des alten Gefährtes war schon von Weitem zu hören, lange, bevor es hinter einer Wegbiegung auftauchte. Auf der Pritsche des klapprigen Mobils waren zwei Leute zu erkennen. Noch während des Aufladens der Rucksäcke stellte sich einer von Ihnen vor: Marcello, Indio und Tourgide. Er hieß uns willkommen und beantwortete geduldig unsere neugierigen Fragen. Der andere war Andrea, ein Italiener. Unablässig verfolgte er mit seiner Kamera die aus den Sümpfen aufsteigenden Vögel auf der Suche nach einem perfekten Schuss. Nur wenige, holprige Kilometer auf seifigem Untergrund lagen hinter uns, als Marcello aufgeregt mit dem Finger auf den Weg vor uns deutete: „Anteater, anteater“. Und tatsächlich, vor uns lief ein Ameisenbär, der sehr schnell im Dickicht verschwand, als er die laut ratternde Karre nahen hörte. In den Tümpeln neben der leicht erhöhten Piste schwammen Alligatoren, selbstverständlich hielt der Wagen in den ersten Miauten bei jeder Gelegenheit an, damit wir alles ausführlich begutachten und dokumentieren konnten. Als nächstes kreuzte etwas den Weg, das aussah, wie eine Mischung aus Wildschwein und Ratte. Marcello klärte uns auf: „Das ist ein Capivara, die größte Rattenart der Welt“.

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Links und rechts vom Weg nur Wasser, hier und da kleine Inseln und Landzungen. Das Wasser schien nicht tief zu sein, es waren halt Regentümpel. Die Sträucher und Bäume waren zumeist nicht höher als ein Mensch, aber ein Blick in die Äste lohnte sich. Gelbe und blaue Makaos, Savannahfalken, Eulen und sogar einige der sehr scheuen Tukanos waren zu sehen, man brauchte nicht einmal danach zu suchen, so zahlreich trafen wir sie dort an. Wir hatten uns nicht zuviel versprochen. Auf den kleinen Inseln und im Wasser wateten die Yabirustörche, mit einer Spannweite von 2,5 Metern die drittgrößte fliegende Vogelart der Welt (Preisfrage: Welches sind die größten?), Gelbnackenibisse, Tigerherons und eine gewaltige Anzahl anderer Vogelarten, von denen wir uns nur den Fliegenfänger sowie den Spoonbill merken konnten. Aber auch für uns ganz gewöhnliche Tiere nennen das Pantanal ihr zu Hause, wie z.B. Rehe und Rinder.

Die Fahrt zur Naturaleza Farm hätte gerne noch ein paar Stunden länger dauern können, so fasziniert waren wir von dieser Landschaft. Irgendwann für der Truck rechts ab auf einen schmalen Weg der sich wie ein Deich durch die Seenlandschaft zog. Krokodile, die in der Böschung gelegen hatten, glitten blitzartig ins Wasser, als der Truck vorbeifuhr. Ein Tor versperrte uns den Weg. Marcello öffnete es und erklärte, das man im Pantanal nur sein Ziel erreicht, wenn man die Privatwegen der zahlreichen Farmen nutzt. Das Tor war der Eingang zur benachbarten Farm des Naturaleza-Anwesens. Einige Miauten später stoppte der Wagen und das Getriebe tat einen lauten Ruck. Der Grund dafür lag auf der Hand, wenn wir dem Weg mit unseren Augen folgten. Vor uns war der Weg verschwunden, was wir sahen, war Wasser. In der Ferne konnte man den Weg wieder erkennen, aber bis dahin musste das Mobil wohl schwimmen oder tauchen. Das harte Schalten des Fahrers war nichts anderes als das Zuschalten des Allradantriebs. Ob’s hilft?

Wir hatten keine Ahnung, wie tief das Wasser wirklich war, da es recht unklar und zum Teil mit Wasserlilien zugewachsen war. Einfach war die Durchquerung nicht, aber letztlich kamen wir ohne Probleme auf der anderen Seite an. Die Wassertiefe hatte nur so etwa 50-60cm betragen und wir unterstützten den Fahrer, indem wir durch heftiges Schaukeln am Ende der Pritsche den Druck auf die Hinterachse erhöhten.

Es war schon fast dunkel, als wir die Naturaleza Farm erreichten. Wir wurden den Eigentümern vorgestellt und man zeigte uns das Quartier. Der Steinbau bestand aus zwei großen Räumen. Im ersten Raum standen drei Etagenbetten, im zweiten fünf. Wir richteten uns im ersten Raum ein wenig ein und eilten zum Hauptgebäude der Farm, wo eine Gruppe amerikanischer Abenteurer bereits zu Abend ass. Die Leute waren freundlich und wir kamen schnell ins Gespräch. Wie auch an den folgenden fünf Tagen bestand das Abendessen aus wahlweise Reis und/oder Nudeln mit einer Soße aus Fleisch und Zwiebeln. Es war nicht sehr abwechslungsreich, schmeckte jedoch nicht schlecht und füllte den Magen.

Voller Erwartung starteten wir in den nächsten Tag. Eine Trucksafari stand auf dem Programm. Der Tag war regnerisch und wir hatten noch nicht viele Tiere gesehen, als der Truck vor einer Holzbrücke stoppte. Marcello sprang vom Wagen und nahm das Gewässer darunter in Augenschein. Die Köpfe einiger Alligatoren waren im trüben Wasser zu erkennen, aber sie schienen zu weit entfernt zu sein, um einen vernünftigen Schnappschuss zu machen. Marcello half dem ab. Er holte ein Seil aus dem Wagen, an dessen Ende ein Flip-flop befestigt war. Die Gruppe mit zwei amerikanischen Pärchen, zwei Finnen, Andrea und uns beiden schauten sich fragend an, was da nun geschehen würde. Geduldig warf Marcello den Latschen ins Wasser und zog ihn langsam ein, wieder und wieder. Irgendwann wurde eine der Großechsen aufmerksam und näherte sich. Als sie nach dem Latschen schnappte löste Marcello das Lasso von seinem Gürtel und warf es nach der Echse – leider verfehlte er sein Ziel. Wieder von vorne. Locken mit dem Flip-flop und das Lasso hinterher. Auch nach fünf Versuchen ließ sich Marcello nicht entmutigen, im Gegenteil, ihn hatte der Ehrgeiz gepackt. Beim sechsten Mal hatte er ihn, die Schlinge schloss sich um den Hals und Marcello triefte der Schweiß vom Körper, als er das ca. 60 kg schwere Tier auf die Brücke hievte.

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Von allen Seiten abgelichtet durfte das Tier nach kurzer Zeit gehen. Marcello war zufrieden, er hatte seiner Gruppe eine tolle Show geboten. Auf einer Farm ganz in der Nähe hielten wir für eine Mittagspause. Der Farmer war gerade dabei, ein Wildschwein zu häuten, welches von dem starken Ast eines Baumes herabhing. Es dauerte zwar zwei Stunden, bis wir uns von der Qualität des knusprig zubereiteten Fleisches überzeugen konnten, aber man war sich einig, es hatte sich wirklich gelohnt. Quer durchs Pantanal ging die Safari weiter, nicht nur einmal musste der Truck mit vereinten Kräften aus Morast und Wasser befreit werden. Emus, Rakoons, die noch am ehesten mit Waschbären verglichen werden können, flohen vor dem ungewohnten Motorengeräusch, der Wagen verfolgte sie, solange es möglich war. Zum ersten Mal sahen wir einen Tukano aus nächster Nähe, mit seinem langen, orangen und gebogenen Schnabel ist der scheue Vogel wohl das schönste gefiederte Tier im Pantanal und ein großes Objekt der Begierde bei den Touristen. Wir sahen ihn, als wir das Fahrzeug verließen, um uns ein paar roten Makaos zu nähern, die wir hier zum ersten Mal sahen. Makaos sind eine Papageienart, deren lautes Krächzen das wohl markanteste Geräusch in der Vielfalt der Tierlaute im Pantanal ist. Die Begegnung mit einem weiteren Ameisenbär rundete einen spannenden und erlebnisreichen Tag ab.

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Zwei Tage später wurde einem jungen Slowenen sein Ehrgeiz beim Piranhaangeln beinahe zum Verhängnis. Erik, so hieß der junge Kerl, zog einen Piranha nach dem anderen aus dem Wasser, nahm sie vorsichtig vom Haken und warf sie in einen Eimer neben ihm, der sich stetig füllte. Fast schon neidisch blickten wir zu ihm herüber, denn wir hatten bis dahin zusammen gerade mal einen der scharfzähnigen Fische auf unserem Haben-Konto. Und wieder zog Eric einen handtellergroßen Genossen aus dem Fluss. Nur leider fiel er ihm auf dem Weg zum Eimer vom Haken, landete auf weichen Sand und sprang wieder hoch, um sich ins Wasser zu retten. Erik verteidigte seine neue Trophäe, in dem er sich zwischen Fisch und Wasser stellte und den Piranha mit der Hand vom Wasser weg schlug. Der Kampf wurde spätestens in dem Moment, als er seine Hand betrachtete, zur Nebensache. Blut strömte aus einer Wunde an seinem Mittelfinger. Erst nach Säuberung der Hand konnte man erkennen, wie tief der Piranha gebissen hatte, ein 1 cm breiter Streifen Fleisch war hing nur noch einen  Millimeter breit am Knochen, noch ein kleines Stück und es wäre heraus gebissen worden. Glücklicherweise führen wir immer ein Erst-Hilfe-Set mit uns. Nach einer gründlichen und schmerzhaften Reinigung wurde die Wunde straff verbunden, obwohl sie eigentlich hätte genäht werden müssen. Zwei Wochen später sollten wir eine Mail von Erik erhalten, in der er sich noch mal bedankte und mitteilte, dass die Wunde beinahe komplett verheilt ist.

Die wohl schönste Erinnerung an die sechstägige Tour ist die an einen Reitausflug, den wir nur zu zweit unternahmen. Das Gruppenreiten am Morgen war so langweilig gewesen – 500 Meter durch den Wald und zurück -, die speziellen Umstände des Tages brachten uns jedoch auf eine Idee. Eine später eingetroffene Gruppe war gerade auf Trucksafari, so kam es, dass wir mit dem 13-jährigen Sohn des Eigentümers allein auf der Farm blieben. Wir überredeten ihn, uns die Pferde zu überlassen und er willigte ein. Drei Stunden ritten wir durch die tolle Landschaft, durch Wasser und Wälder, alleine vor einer atemberaubenden Kulisse. Böses Erwachen bei der Rückkehr, die Digitalkamera war verschwunden. Offensichtlich war sie Andreas aus dem Tagesrucksack gefallen, der nicht verschlossen war. Unsere panische Suche endete, als der nette Sohn der benachbarten Farm zu uns herüber geritten kam und uns das gute Stück übergab. Er hatte es in der Nähe seines Farmhauses gefunden. Eine ehrliche Haut. „Gibt es nicht so oft in Brasilien“ meinte Marcello später.

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Marcello war es auch, der am nächsten Tag für Panik sorgte. „Du hast das was am Fuß“ sagte Sandra auf einer Wanderung durch die Sümpfe zu ihm, als er auch schon zusammenzuckte und das Gesicht schmerzerfüllt verzog. Der Blick auf seine Ferse bestätigte alle Befürchtungen, er war von einer Schlange gebissen worden. Vage beschrieb Sandra die Schlange als daumendick und grau. Die Bisswunde (nur zwei Wundmale jeweils eine links und rechts) deutete auf den Biss einer Giftschlange hin. Das würde bedeuten, es blieben nur etwa 45 Minuten Zeit für die Injizierung eines Gegengiftes.

 

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Rund fünfunddreißig Minuten würde der Rückweg dauern, es könnte knapp werden, wenn das Gift langsam zu wirken begänne und Marcello die Kraft ausginge. Er aber blieb cool, blieb hier und da stehen, wies auf ein Fotomotiv während wir nur so schnell wie möglich zur Farm zurück wollten. Nach zwanzig Minuten gab der Indio Entwarnung. Aus eigener Erfahrung – vier Giftschlangenbisse in seinem knapp vierzig Jähre andauernden Leben – wusste er, dass man die Wirkung des Giftes nach ungefähr 15 Minuten schon spürt und jetzt schon 20 Minuten ohne irgendeine Reaktion seines Körpers verstrichen waren.

Ganz ohne Auswirkungen blieb der Schlangenbiss letztendlich doch nicht. Die Wunde entzündete sich schnell und der Fuß schwoll auf doppelte Größe an. Er musste zur Behandlung nach Campo Grande und kehrte erst zwei Tage später zurück, der Tag an dem wir das Pantanal Richtung Corumba verließen.

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