Freundlich sind die Menschen, freundlich, aber keinesfalls aufdringlich.
Inder und Malay, Filipinos und Chinesen, Europäer und Thai, jeder hat hier seinen Platz und trägt zur Vielfalt bei. Es ist dieser besondere Wohlfühlfaktor, man spürt ihn sofort, hier, in der Hauptstadt Sabahs. Es scheint, als ob der Potpourri aus verschiedenen Religionen und Kulturen das Beste aus allem hervorbringt.
Ob Christen, Taoisten, Muslime oder Hindus, hier wird Toleranz im Umgang mit dem Andersdenkenden gelebt. Willkommen in Kota Kinabalu.
Obgleich es nur das Sprungbrett zu meinem eigentlichen Traumziel ist, genieße ich die Zeit mit meinen beiden Begleitern. Und wieder ist es in erster Linie die kulinarische Vielfalt, die begeistert. Essen auf dem Fischmarkt, im offenen chinesischen Restaurant, beim Thai oder nur den Burger am Straßenstand, alles will probiert sein. Dazu frisches Obst, frisch gepressten Saft, einen Te tarik hier, einen kopi eine Straßenecke weiter.
Wirklich Großes gibt es nicht zu sehen, aber genau das macht den Charme der Hauptstadt Sabahs aus. Ein Ort um sich fallen und treiben zu lassen. Man ist ein Fremder unter vielen, nicht Gast, sondern ein Teil des Ganzen. Flanieren auf der Strandpromenade, Vervollständigung der Reiseausrüstung auf einem der vielen Tagesmärkte, zwischendurch eine Massage und ein Stück Wassermelone to go. Alles in völlig entspannter Atmosphäre.
Drei Tage reichten am Ende dennoch aus. Nächstes Ziel war Ranau, am Fuße des Mount Kinabalu gelegen. Die beschauliche Kleinstadt in einem immergrünen Tal lud zu Erkundungen per pedes ein. Auf meinem Trip vorbei an Reisfeldern, kleinen Höfen, durch Schwemmgebiete und über Hügelketten waren allein Sonnenauf- und untergang das Limit für ein Naturerlebnis von besonderer Schönheit.
Die Restaurants in der Stadt servierten regionale Küche, welche überwiegend aus frischem Gemüse, Fleisch und Reisgerichten besteht. Schmeckt nicht so gut wie das Essen in Thailand, aber auch nicht schlecht.
In Ranau trennen sich die Wege meiner Begleiter von meinen, sehr zu meinem Bedauern. Unbegleitet erreiche in nach 9 Stündiger Busfahrt Sandakan im äußersten Nordosten Borneos. Die Stadt ist laut, schmutzig und vom Lifestyle Kota Kinabalus Lichtjahre entfernt. Machte am Ende nix, sie war ohnehin nur der Ausgangspunkt für meine Tour zum Kinabatangan River.
Der Weg dorthin führte über den Highway etwa 80 km zurück Richtung Westen, ein ebenso gut ausgebauter Highway bog von dort in südliche Richtung ab. Nach weiteren 175 km hielt der Bus hinter einer kleinen Ortschaft an einer Abzweigung. Von dort führte eine schmalere Straße wieder nach Osten. Nur noch 40 km trennten mich von meinem Ziel, dem kleinen Ort Sukau, am Ufer des 576 km langen Flusses Kinabatangan gelegen.
Doch ganz so einfach sollte es nicht werden, dorthin zu gelangen. Denn die Minibusfahrer, die im Schatten der Bäume am Straßenrand liegend schon den ganzen Tag auf jemanden wie mich gewartet hatten, waren nicht gewillt, ihr Faustpfand günstig aus der Hand zu geben. Sie boten mir an, einen Minibus zu chartern, für einen utopisch hohen Preis, versteht sich. Alternativ hierzu könnte ich warten, bis weitere Reisewillige auftauchen und um Transport nach Sukau bitten würden.
Doch selbst als bereits 5 Fahrgäste dort im Schatten hockten, forderte man von mir weiterhin den hohen Preis ein. Nach kurzer und ebenso sinnloser Diskussion verneinte ich und blieb noch ein Weilchen sitzen, bevor ich mir meinen Rucksack schnappte, grußlos an den Schleppern vorbeilatschte und zu Fuß den Weg in Angriff nahm. Nicht mal einen Kilometer musste ich laufen, bis der Fahrer eines „Mini-look-alike-Proton“ hielt und mich mitnahm. Das skurrile Gefährt war eine Disco auf Rädern, vollgestopft mit Boxen, allgemeinem Kabelchaos und lustigen Aufklebern auf dem Dashboard. Ein verbaler Austausch war aufgrund der Lautstärke sowie der limitierten Englischkenntnisse des Fahrers nur bedingt möglich. Nicht weiter schlimm, die Fahrt in der Renndisco war auch ohne Unterhaltung spannend und belebend.
Im Zentrum des kleinen Ortes angekommen, kletterte ich aus dem Gefährt, dankte dem freundlichen Fahrer und lief einen holprigen Weg flussaufwärts zu Fuss weiter. Bald tauchten die ersten Unterkünfte, mit mehreren, zumeist spartanisch ausgestatteten Holzhütten, am Wegesrand auf. Die von mir letztlich gewählte Bleibe lag an einer besonders schönen Aussicht gegenüber von einem bewaldeten Kreidefelsen.
Ein kleiner Bootsteg und ein Restaurant über dem Fluss rundeten das Idyll ab. Dass ich der einzige Gast in dieser Anlage sein würde, ahnte ich nicht, denn genau in diesem Moment hielt ein Pickup neben den schlichten Holzbungalows. Ein Einheimischer sowie zwei blonde junge Männer – aus Schweden, wie sich später herausstellte – stiegen aus und liefen die Böschung hinunter zu dem kleinem Holzsteg. Ich witterte meine Chance. Auf meine Frage, zu welchem Preis er mich mit auf die offenbar bevorstehende Bootstour nehmen würde, antwortete der langhaarige Mann nur: „50 Ringgit“. Perfekt, für gerade Mal 10 Euro würde ich nun in Begleitung Orang Utans, Nasenaffen, Elefanten und etwa 1000 verschiedene Vogelarten sehen. Hoffte ich zumindest.
Träume sind das eine, doch die Realität war…… noch besser. Neben männlichen und weiblichen Orang Utans, Nasenaffen lagen noch Mini-Elefanten, Alligatoren, 1001 Vogelarten, Echsen und am Ende des Tages ein Traum von einem Sonnenuntergang über dem Fluss im üppigen Präsentkorb der Natur.
Wir fühlten uns wie Pioniere, der Fluss gehörte an diesem Tage nur uns. Kilometerweit fuhren wir flussaufwärts, außer uns keine Menschenseele, kein anderes Boot, irgendwann sahen wir auch keine Hütten mehr am Ufer. Das Orchester der Schöpfung spielte nur für uns: Vogelstimmen in großer Vielfalt, die Schreie der Makaken, das gleichmäßige Plätschern des Flusses, raschelnde Bäume im Wind. Der Guide brauchte nur einen Laut zu hören, schon wusste er, wer sich wo im Dschungel versteckte. Man musste sich dazu zwingen, nicht immer alles nur durch die Kamera sehen zu wollen.
Von den Nasenaffen war ich im besonderen Maße angetan. Ganze Familienclans der surreal anmutenden Gestalten hangelten sich durch die Baumgipfel in unmittelbarer Flussnähe.
Überwältigt von der Schönheit der Schöpfung, getragen vom Gefühl, etwas ganz Besonderes erlebt zu haben, beendeten wir unsere Expedition in der hereinbrechenden Dunkelheit.
In dem einfachen Restaurant, welches zu der Bungalowanlage gehörte, aßen neben mir noch ein paar Arbeiter, die mit der Erweiterung desselben beschäftigt waren. Die Auswahl war nicht sehr üppig. Allerdings kann ein einfaches Bami Goreng mit Spiegelei on top einem hungrigen Mann durchaus großen Genuss bereiten. Besonders dann, wenn es obendrein noch einen kostenlosen Nachschlag gibt.
Beim Frühstück tags darauf war ich dann wirklich allein. Mich stört diese Einsamkeit nicht. Im Gegenteil, ich betrachte es als Privileg, dieses Paradies nur für mich zu haben. Und sei es nur für ein paar Stunden.
Auf meiner Wanderung ins Dorf traf ich dann doch noch ein paar Traveller. OK, der Ort ist nicht ganz so easy erreichbar. Dennoch war ich überrascht, wie wenig hier los war. Hinter Sukau lief ich weiter, in der Hoffnung, eine Brücke über den Fluss zu finden, denn ich wollte unbedingt die andere Flussseite erkunden. Gegen 14 Uhr musste ich dann doch umkehren, um noch sicher vor der Dunkelheit zurück bei der Hütte zu sein.
Die Söhne des Besitzers luden mich nach dem Abendessen zu einer Nachterkundung des Dschungels ein. Es war nett, mit den Jungs zu reden. Die beiden Teenager sprachen passables Englisch und besaßen ein fundiertes Wissen über Flora und Fauna des heimatlichen Regenwaldes. Säugetiere standen nicht im Fokus des nächtliches Ausflugs, eher Insekten, bunte Käfer, Tausendfüßler, Spinnen oder Glühwürmchen.
Am folgenden Tag charterte ich ein Boot, um noch einmal flussaufwärts zu fahren. Der junge Bootsführer war zurückhaltender als der Tourguide zwei Tage zuvor. Gehör und Beobachtungsgabe des jungen Mannes waren jedoch nicht minder geschärft. Mit der Sicherheit, vieles von dem, was der Dschungel bereit hielt, bereits gesehen zu haben, wollte ich einfach nur genießen. Der Grund, warum ich nach Borneo reisen wollte, lag genau hier. Und wahrlich, es hat mich umgehauen. Am Ende habe ich diese zweite Tour als noch intensiver empfunden, als die erste, da der Zwang des „Unbedingt-sehen-Müssens“ entfiel.
Am letzten Abend leistete mir der Eigentümer der Anlage beim Essen Gesellschaft. Neugierig fragte er mich über mein Leben aus. Ich mochte den Mann und genoss den Gedankenaustausch. Die Frage, warum ein Mann um die halbe Welt reist, um ein paar Tiere zu sehen, konnte ich ihm nicht zufriedenstellend beantworten. Dazu noch ohne jeglichen Luxus, obwohl man sich den ganz sicher leisten kann. Nun ja, das verstehen zu Hause ja auch nur die Wenigsten.
Um nicht den gleichen Weg zurück nach Kota Kinabalu nehmen zu müssen, entschied ich mich, von Sukau weiter nach Süden zu reisen. Die Fahrt mit dem Minibus zurück zur Junction ersparte ich mir auch dieses Mal, eine nette Familie bot mir einen Platz in einem eigentlich bereits hoffnungslos überladenen Gefährt an.
Meine Glücksträhne hielt auch bei der nächsten Etappe an – dachte ich jedenfalls. Auf dem Bordstein sitzend und ob der Mittagshitze den nächsten Bus herbeisehnend, bemerkte ich zunächst nicht, wie einige Meter weiter ein Auto hielt.
Erst als der Mann mir zuwinkte, ahnte ich, dass ich auch auf diesem Abschnitt in den Genuss eines freien Transfers kommen würde. Der Mann war freundlich, hinsichtlich seiner Optik, Mimik und Gestik war er zweifelsfrei das malayische Pendant des Komikers Jerry Lewis in der Rolle des unbeholfenen Chemie-Professors Julius Kelp. Während der Fahrt berichte er mir von Voodoo-Attacken auf sein Leben, der Telefonnetz-Mafia in Malaysia, von parapsychologischen Phänomenen und sonstigen Abgründen des menschlichen Seins. Und das alles bei Tempo 55 auf einem nur mäßig befahrenen 4-spurigen Highway.
Zunächst amüsierten mich die hanebüchenen Stories des Mannes, allerdings nahm meine Ungeduld ob der schleichenden Fahrweise mit jeder Minute zu. Nach 4-stündiger Fahrt hatte ich meine Lektion in Geduld gelernt, soviel steht fest. Dessen ungeachtet überwog meine Dankbarkeit für die zuvorkommende Behandlung, er war mir ohne jegliches Misstrauen begegnet und für mich ein herausragendes Beispiel für die Gastfreundschaft in einem muslimischen Land. An einer Abfahrt endete der gemeinsame Weg. Ich bedankte mich ausgiebig und ging meiner Wege. Nicht einmal zwei Minuten später sass ich mitsamt Rucksack auf der Pritsche eines Pickups, der so schnell Richtung Tawau fuhr, dass meine Gesichtszüge vom Fahrtwind lustig verzerrt wurden.
Tawau ist eine wuselige Grenzstadt mit regem Markttreiben, einer dubiosen Hinterhof- und Second Floor-Bar- und Karaokeszene sowie einer Riesenauswahl an guten und preiswerten Restaurants. Insbesondere die Seafood-Restaurants in Strandnähe galt es zu beachten. Ich genoss die kulinarischen Highlights der Stadt im Wechsel zwischen indischer Küche und den Früchten des Meeres. In Tawau erhält man mehr als nur einen Vorgeschmack auf Indonesien. Hier ist es „wilder“ als im Rest von Malaysia. Von Zurückhaltung keine Spur, der Fremde wird offensiv einbezogen in das Markttreiben, die Restaurant- oder die Transportszene. Im Mittelpunkt zu stehen ist nicht unbedingt mein Ding, aber ohne Frage zog ich die Blicke auf mich in der von Fremden nicht allzu überlaufenen Stadt.
Spannendes Ende der Borneotour war die Fahrt mit dem Fernbus über eine zum Teil immer noch abenteuerlich schlechte Piste durch die Berge zurück nach Kota Kinabalu. Borneo hatte definitiv gehalten, was ich mir davon versprochen hatte. Kalimantan, den indonesischen Teil Borneos, habe ich mir aufgespart. Für irgendwann. Wenn ich mal ganz viel Zeit habe.